Ich, Du und der Tod.

Ich, du und der Tod: Drohende Nähe.

Eva sagt, sie sei eine Frau, deren Leben auf Eis liegt. Denn Evas Tochter Haylie leidet an der sehr seltenen neurologischen Erbkrankheit Tay-Sachs. Und die ist (noch) unheilbar.
Eva weiß also, dass ihre Tochter stirbt. Sie weiß, dass es eine Zeit ohne Haylie geben wird. Eine Zeit, in der nur mehr die Erinnerungen an sie leben werden. Eine Zeit, wo Haylie fehlen wird.
Man hat das Gefühl Eva verfügt über unendlich viel Energie und ihr Tag hat zusätzlich 72 Stunden. Sie betreuut Haylie, ist Obfrau des Vereins „Hand in Hand“, ist gerade schwanger mit ihrer zweiten Tochter und bloggt auf ihren tollen Blog „D-Day mal anders. Oder wie man den Krieg überlebt.“
Eva und ihre Tochter bewegen. Ihr offener mutiger Umgang mit dem drohenden Tod ihrer Tochter Haylie bringen viele Menschen zum nachdenken, zum hinsehen und animiert zum handeln.

Liebe Eva, selten hatte ich soviel Gänsehaut und feuchte Augen, als beim bearbeiten dieses Artikels. Allein schon, dir die Fragen zu stellen, ließ mich schaudern. Doch deine mutigen, weisen Antworten haben geschafft, mich zu wärmen und mich zu erfreuen. Über Haylie und über die Freude und Liebe, die ihr ausstrahlt.
Ich danke dir, dass du so offen mit eurer Geschichte umgehst und bin sehr beeindruckt von dir.
Liebe Haylie – du bist eine große Inspiration!

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Als Haylie zur Welt kam, war alles gut.

Eva und ihr Freund Zivan waren glücklich mit ihrer kleinen Prinzessin und dachten nicht im Traum daran, dass sie Haylie überleben könnten. Mit 8 Monaten wurden bei Haylie das erste Mal Entwicklungsverzögerungen diagnostiziert. Die folgenden Monate durchlaufen sie einen kleinen Ärztemarathon. Und dann kam der 25.Juli.2011. Der Tag an dem Evas und Zivans Welt stillsteht und zusammenbricht.
Denn der Arzt spricht die Diagnose Tay-Sachs laut aus und endet mit den Worten: Die Krankheit geht mit einem tödlichen Verlauf einher.

In Evas Kopf drehen sich die Wort „Tödlicher Verlauf“ in einer Endlosspirale… Auf die Frage von Zivan, wie lange Haylie noch zu leben hätte, bekommen sie die niederschmetternde Antwort, dass es sich wohl nur um ein paar Jahre handeln wird.

Mein Gehirn kann diese Information nicht verarbeiten. Das konnte nicht wahr sein, wie sollte so etwas wahr sein? Es ist unlogisch, dass Kinder vor den Eltern sterben, es ist von der Natur so nicht vorgesehen. Es ist einfach zu surreal. Sie liegt doch da auf dieser Liege, lächelt und plappert vor sich hin. Strampelt und ist so lebhaft. Ich zitterte am ganzen Leib und bin bewegungsunfähig. Gelähmt von diesem Schock, der wie eine Granate einschlug. Mein Herz ist zerfetzt, mein Gehirn immer noch fassungslos. Und doch muss ich aufstehen und mein Kind berühren.

Eva, Zivan und die kleine Haylie wurden nach diesem Gespräch entlassen. Ohne Hoffnung. Denn es gibt keine Therapie, keine Behandlung. Es gibt nur den Tod, der um die Ecke lauernd wartet. Der viel zu nah ist. Der sie mit einer drohenden Nähe bedrängt. Sie spüren Hass, Wut und Zorn. Auf den Arzt, der mit dieser Diagnose ihr Leben zerstört hat. Auf die Krankheit, die ihre Haylie sterben lassen wird.
Auch die Großeltern und Freunde sind entsetzt und weinen mit ihnen.
Doch Eva lässt sich vom Tod nicht in die Ecke drängen. Sie bekämpft die Enge mit Offenheit. Sie teilt ihr Schicksal auch auf facebook und fühlt sich von den aufbauenden und mitfühlenden Nachrichten getragen.

Ich habe alles versucht, jeden Strohhalm gegriffen. Bin zu Heilern geflogen, war bei Naturheilpraktiker und Bioenergetiker. Ich habe einfach alles versucht, was ich irgendwo gefunden habe. Zu akzeptieren, dass man diese Krankheit nicht aufhalten kann, das habe ich bis heute nicht vollständig geschafft. Ich weiß was kommen wird, ich bin nicht naiv, aber trotzdem habe ich noch Hoffnung.

Zivan und Eva sind von Grund auf verschieden. Sie konnten auch nach der Diagnose nicht über ihre Trauer, ihren Schmerz und den bevorstehenden Tod von Haylie sprechen. Zivan schweigt, will Eva nicht noch zusätzlich mit seinen Gefühlen belasten. Eva findet Zuspruch im Netz, wo sie ihre Geschichte offen erzählen kann. Am Ende gab es kein gemeinsames Leben mehr. Eva und Zivan trennten sich.

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Fast 5 Jahre sind seit der Diagnose nun vergangen und Haylie hat vor kurzem ihren 6. Geburtstag gefeiert. Ein Wunder. Ein hoffnungsvolles Wunder. Und doch vielleicht ihr letzter.
Der Gedanke an Haylies Tod ist einerseits omnipräsent, wird jedoch andererseits zur Seite geschoben. Denn jetzt soll noch das Leben Platz einnehmen. Nicht der Tod.

Der Tod wird uns treffen und es wird ganz bestimmt die Hölle sein, ganz egal was ich jetzt im Vorhinein schon mache und was nicht. Ich versuche aber, mir jeden Tag bewusst vor Augen zu halten, dass er ein Geschenk ist. Dass jede Sekunde mit meiner Tochter kostbar ist, und da bleibt dann eben so mach anderes liegen.
Ich versuche jeden Tag, mein Kind ins Zentrum zu stellen, und alles andere hinten anzureihen, weil ich weiß, wie wertvoll die Zeit mit ihr ist.

Und genau weil Eva weiß, dass Haylie gehen muss, versucht sie so viel wie möglich mit ihr  zu erleben, gemeinsame Erinnerungen zu schaffen. Sie macht 1000e Bilder, damit die gezählten Momente mit Haylie für immer festgehalten werden.

Bei Notfällen mit Haylie, die leider immer wieder auftreten, versucht Eva ruhig zu bleiben und „bereit“ zu sein.
Und trotz des Wissens und dem Willen bereit zu sein, hat Eva Angst.

Ich habe unsagbare Angst davor, was Haylies Tod mit mir machen wird.
Davor in Trauer zu leben, davor mit niemanden reden zu können, immer leiden zu müssen.
Ich habe Angst davor, dass ich nie wieder glücklich sein werde, nie wieder heilen werde, den Schmerz immer im Herzen haben werde.
Ich habe Angst davor, dass man aufhören wird, über Haylie zu sprechen, ihren Namen auszusprechen.
Angst, dass sie immer mehr verschwindet und dass ich mich irgendwann an ihr Gesicht nicht mehr ohne Foto erinnern kann.
Und natürlich habe ich Angst, dass ihr Tod vielleicht irgendwie grausam ist, sie vielleicht unter starken Schmerzen sterben muss.
Ich habe Angst, vor dem Anblick und davor nicht helfen zu können.

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Den Schmerz, an Haylies Begräbnis zu denken oder gar Haylies Begräbnis zu planen, will sich Eva noch nicht aussetzen. Sie will den Schmerz noch nicht fühlen. Denn so wäre kostbare Zeit, in der sie mit Haylie glücklich sein kann, mit Schmerz gefüllt.

Doch wenn Eva besonders schöne Lieder und Gedichte, die vom Tod handeln liest und hört, drückt sie auf speichern. Denn sie weiß, dass es irgendwann soweit ist. Das weiß auch ihr Unterbewusstsein, denn in ihren Träumen kommen Haylies Tod, ihr Begräbnis und die Zeit danach immer wieder vor.

Kraft, Rückhalt und Stütze bekommt Haylie von ihrem Freund Stefan, ihrer Familie, ihrer Arbeit im Tay Sachs Verein und im Schreiben.
Doch die größte Inspiration für Eva ist Haylie selbst. Sie bekommt Kraft und Mut, wenn sie ihre Haylie in den Arm nimmt und sich bewusst macht, wie stark dieser kleine Mensch ist. Wie viel sie bereits geschafft hat.

Denn wenn es dieses Mädchen, mit diesem zerbrechlichen, von der Krankheit ramponierten Körper, schafft, weiter zu machen, nicht aufzugeben, dann muss ich es erst recht schaffen. Zeit zum Jammern gibt es später immer noch, genauso wie Zeit zum traurig sein, Zeit zum Trauern.  Jetzt, solange Haylie lebt, kann ich mir das nicht leisten. Ich muss mich zusammen reißen –  für meine Maus.

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Was Eva sich für Haylies Tod wünscht?

Ich wünsche mir, dass Haylie zuhause sterben darf, nicht im Krankenhaus.
Ich möchte sie in meinen Armen halten, möchte sie küssen und ihr Haar streicheln und ihr Ohr direkt bei meinem Herzen haben, so dass sie meinen Herzschlag bis zum Schluss hören kann. Sie soll fühlen, dass sie behütet ist, dass sie in Frieden sterben kann, umringt von Liebe. Ich möchte ihr nochmal sagen können, wie sehr ich sie liebe und hundert andere wichtige Sachen.
Sie soll umringt von Liebe, ohne Schmerz, in Frieden einschlafen, in dem Wissen das es in Ordnung ist, dass sie nun geht, dass sie lange genug gekämpft hat.

Näheres zu Tay-Sachs findet ihr hier auf der Website des Vereins Hand in Hand, den Eva gegründet hat.
Und zu Evas wunderbarerm Blog geht hier lang!

Mehr zum Thema Tod auf der Mamasprosse:

Er starb ohne mich – Verenas Verlobter starb allein
Endgültige Schlussstriche – der Suizid meines Exfreundes
Sternchens Geburstag – der Abschied von meiner ersten Tochter
Doppelter Abschied – Nadines Verlust ihrer Zwillinge in der Schwangerschaft

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18 Kommentare zu „Ich, du und der Tod: Drohende Nähe.

  1. Haylies Geschichte berührt mich sehr und ich bewundere Eva für ihre Kraft. Mit vielen Tränen hab ich diesen Artikel gerade gelesen, zu wissen, dass das eigene Kind vor einem selbst gehen muss, muss so schrecklich weh tun. Aber Haylie und Eva kämpfen für das Leben und versuchen jeden Moment zu nutzen, das macht Mut. Bewundernswert.
    Alles Liebe, besonders an die kleine Haylie.

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  2. Ich muss dieses Interview jetzt erstmal verarbeiten; mir stehen die Tränen in dem Augen und dieses Schicksal berührt mich zutiefst!! Jeden Augenblick auskosten- diese positive Einstellung finde ich toll. Als Mutter von zwei kleinen Kindern ist es für mich einfach unvorstellbar, wie es ohne sie wäre!! Und wie eine Krankheit einem alles nehmen kann! Ich wünsche der Mama viel Kraft, weiterhin so liebe- und hingebungsvoll ihre kleine Tochter zu betreuen, zu begleiten, zu lieben! Und trotz allem das Schicksal zu nutzen, um weiterhin Freude am eigenen Leben zu finden!

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  3. Ein sehr rührender Beitrag und sofort schießen mir die Tränen in die Augen und ich stell mir vor was würde ich in dieser Situation machen bzw. wie vielen Familien geht es auf der Welt so. Alle anderen Probleme rücken in den Hintergrund.
    Eva hat meinen größten Respekt und ich finde es bewundernswert wie sie ihr und Haylies Schicksal an nimmt. Am liebsten würde ich beide jetzt drücken, ich wünsche ihnen ganz viel Kraft und Zeit zusammen.

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  4. Ward Ihr mit Haylie schon in einem Healing Room? Gott ist stärker als jede Krankheit. Nur trauen wir Menschen Gott nichts mehr zu und wollen von seiner Liebe nichts mehr wissen. Im Gegensatz zu vielen Theologen manipuliert Gott nicht sondern respektiert uns. Darf Gott an Haylie und Euch seine Liebe offenbaren?

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  5. Haylie und Eva – Ihr habt meine volle Bewunderung! Ich finde es großartig, wie Ihr mit der schwierigen Situation umgeht – und ich verstehe Deine Angst, Eva! Ich wünsche Euch von Herzen das Beste – ganz viel Kraft und Mut weiterhin!
    Und Lisa – wie würdevoll und ehrlich Du diese Rubrik gestaltest, auch das bewundere ich – (der Taschentücherverbrauch steigt!)
    Schön, dass wir alle mitfühlen können und diesem ernsten Thema auch ins Auge schauen können!
    DAnke!

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  6. Es ist jetzt echt schwer etwas zu schreiben. Ich bin so berührt, erschüttert und sprachlos. Ich wünsche euch jeden Tag wunderschöne Momente und Erinnerungen und viel Kraft und Liebe. Das ihr noch sehr viele davon habt und kämpft.
    Danke für eure Geschichte

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  7. So ergreifend, so viel Liebe ist da spürbar! Ich hoffe, dass Evas Wünsche für Haylies letzten Tag wahr werden und die beiden einen friedlichen Abschied nehmen können – die Energie bleibt für immer! Danke für diese bewegende Artikel-Serie!

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  8. Ich habe von Haylie und Eva letztes Jahr einiges gelesen und bin immer tief berührt von so viel Liebe und Kraft. Deine Reihe ist wirklich sehr respektvoll und gut das es sie gibt- der Tod wird immer totgeschwiegen und das ist so schlimm für die Betroffenen. Ich hab bereits mehrfach über den Tod meiner Schwester geschrieben und bin auch Teil von „Tausend Tode Schreiben“
    Schön das ich nun deinen Blog gefunden habe.
    Liebe Grüße
    Dani

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  9. Liebe Eva

    Ich fühle in mich … und doch dein Schmerz ist auch meine!

    Meine Seele spürt all diese Verletzungen.

    Vor 1 Jahr habe ich mein Sohn verloren , Tay Schachs hat meines Leben verändert.

    Ich wünsche dir alles Kraft der Welt .

    Liebe Grüße

    Jacqueline

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  10. Ich habe diesen mutigen und beeindruckenden Beitrag vor ein paar Tagen gelesen. Es kamen in mir so viele Emotionen hoch, dass ich ihn wieder und wieder lesen musste, um ihn irgendwie zu begreifen. Gefühlt habe ich ihn sofort. Durch und Durch. Heute fühle ich mich endlich in der Lage, auch einen Kommentar hier zu lassen. Ich danke euch allen drei für diesen besonderen Beitrag und wünsche ganz viel Kraft und Zuversicht.

    Liebste Grüße und eine unbekannte Umarmung
    Ju von wheelymum

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  11. danke für diesen unbeschreiblich traurigen und dennoch schönen text. man kann sich kaum vorstellen, was familien durchmachen müssen, die solche diagnosen ihrer kinder bekommen… ich finde es toll, wie eva damit umgeht und ich denke, es ist eine gute strategie, die zeit die bleibt, mit soviel leben wie möglich zu füllen.

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